Journalistische Arbeiten von Andreas Reichelt
PR-Artikel, Advertorials
Journalistische Beiträge
Erschienen im Mitteldeutschen Logistikanzeiger im Dezember 2022
Artikel über das 15. Expertentreffen der Energiemetropole Leipzig:
Mitteldeutscher Logistikanzeiger #6/22
Von Mirko Dietrich und Andreas Reichelt
15. Expertentreffen der Energiemetropole Leipzig
Krise, Chancen und Optionen
Am 21. November 2022 fand im Leipziger KUBUS das 15. Expertentreffen der Energiemetropole Leipzig statt. Unter dem Motto „CO2-NEUtrale Stadt Leipzig: – Wie geht’s?“ luden die Energiemetropole Leipzig, das Amt für Wirtschaftsförderung Leipzig und das Netzwerk Energie & Umwelt (NEU) e. V. Vertreter aus Wirtschaft, Wissenschaft und Verwaltung zum Diskurs. Neben dem Weg zur CO2-neutralen Stadt im Besonderen waren die aktuelle Versorgungslage und Wege aus der Energiekrise im Allgemeinen die Leitthemen.
In seinem einleitenden Grußwort betonte Leipzigs Wirtschaftsbürgermeister Clemens Schülke die Bedeutung der Veranstaltung: „Energieerzeugung muss kurzfristig breit aufgestellt werden, vor allem im Strom.“ Der Ausbau der Erneuerbaren Energien müsse dringend beschleunigt werden. Auf ihnen liegt alle Hoffnung auf unabhängige, saubere und bezahlbare Energie. Dazu böten die Teilnehmenden die Technologien, Dienstleistungen und Innovationen an, mit denen sich die Stadt und ihre Bevölkerung selbst aus der Krise befreien können. Die Wirtschaftsförderung helfe bei einem begrenzten kommunalen Budget wo sie könne, mit Projekten wie der Wasserstoffstadt, einem Solar-Booster oder dem Innovationszentrum Klimawandel.
Staatsminister Wolfram Günther, dessen Ministerium mit der Veranstaltung die Themenwoche „Wege aus der Energiekrise“ einleitete, sagte dazu: „Energiekrise und Klimakrise dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden. Die enorm hohen Preise für Strom, Gas und Wärme zeigen überdeutlich: Wäre der Ausbau erneuerbarer Energien in der Vergangenheit nicht ausgebremst worden, wären wir heute viel weiter beim Klimaschutz, und einen Großteil der aktuellen Herausforderungen – hohe Preise und Unsicherheit – hätten wir schlicht nicht.“ Eine beschleunigte Energiewende reduziere die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern und garantiere damit Sicherheit sowie verlässlichere Preise und bremse damit auch die Klimakrise ab. „Und sie stärkt die Wirtschaft, denn der Ausbau von Wind und Solar bietet Sachsen große Wertschöpfungspotenziale und den regional erzeugten CO2-freien Strom, den die Wirtschaft auf ihrem Weg zur Klimaneutralität dringend braucht.“
Dr. Enrico Schöbel, Geschäftsführer des Instituts der Wirtschaft Thüringens, beleuchtete in seinem Vortrag, welche wirtschaftlichen Auswirkungen, betriebswirtschaftlichen Perspektiven und Mehrwerte das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) für Unternehmen – nicht nur in der Logistik – schon bietet und bieten wird. Stichwort: Kreislaufwirtschaft statt Abfallwirtschaft.
Wie erfolgreich besonders unkonventionelles Herangehen sein kann, konnte Ferid Giebler, Bürgermeister der Gemeinde Muldestausee, beweisen. Hier haben sich alle regional Beteiligten zusammengeschlossen und gemeinsam mit einem Energieberatungsunternehmen ein umfassendes Konzept für die Erzeugung erneuerbarer Energien, Bevölkerungswachstum, Infrastruktur und Tourismus entwickelt – um mit diesem Fördermittel für die Umsetzung einzuwerben.
Nach einer ausgiebigen Pause zur Vernetzung bekamen die Teilnehmenden einen Einblick in die Start-Up-Szene sowie in aktuelle wissenschaftliche Projekte der Leipziger Forschungslandschaft. Neben Ansätzen und Lösungen für das Energie- und Wärmemanagement wurde die Kreislaufwirtschaft von Materialen der Luftfahrt und Windenergie sowie die innerstädtische Logistik thematisiert.
Im Weiteren folgten drei umfangreiche, fachlich hoch qualifiziert geleitete Diskussionsforen: Die Leipziger Wirtschaftsförderung moderierte das Thema Innovationsförderung – Klimaneutralität und Klimaanpassung für KMUs, die JENA-GEOS-Ingenieurbüro GmbH stellte Erneuerbare Energien in der Stadt zur Diskussion und wie Unternehmen davon profitieren können und die Session des Staatsbetriebs Sachsenforst beleuchtete, wie die Forstwirtschaft und der Rohstoff Holz in dessen Lebenszyklus zur Energieerzeugung und Klimaanpassung beitragen kann.
Die Frage war: CO2-NEUtrale Stadt Leipzig – Wie geht‘s? Zum einen heißt dies, wie weit Unternehmen und Kommunen z.B. in der Umsetzung von Maßnahmen zu erneuerbaren Energien und Energieeffizienz sind und weshalb die gesetzten Ziele bisher erreicht bzw. nicht erreicht wurden. Liegen die Gründe für die aktuellen Probleme in einer Trägheit der Routine oder im Setzen auf Erdgas als preiswertem Primärenergieträger (nach Erdöl) und der Vernachlässigung von Investitionen und Förderungen seitens der Politik? Oder verlangsamen gesetzliche Rahmenbedingungen und Genehmigungsverfahren eine zeitnahe Umsetzung?
Zum anderen, stellt sich nun die Frage, an welchen Stellschrauben man unter den aktuellen Bedingungen ansetzen kann und muss. Wie lässt sich aufholen, was in der Vergangenheit liegengelassen wurde und welche weiteren Entwicklungspfade können nun eingeschlagen werden, auch unter Berücksichtigung neuer technologischer Konzepte wie Aquathermie oder industrieller Abwärme?
Dazu wollte das Expertentreffen vor allem einladen: Unternehmen aufzeigen, die Innovationen bereits umsetzen und kommunale Ideen vorstellen, wie in Gemeinsamkeit neue Konzepte umgesetzt werden können. Aber auch, welche Rolle einzelne Akteure wie die Stadtwerke oder Netzwerke in Zukunft einnehmen können und wie eine Stärkung der Kreislaufwirtschaft innovative Produkte hervorbringen und dabei gleichzeitig Ressourcen schonen u n d Energie erzeugen kann?
Die Antwort ist: Es gibt nicht DIE Antwort, DEN Energieträger oder DAS Konzept. Die Lösung liegt in der Komplexität der Aufgabe. Wir brauchen eine größere Vielfalt an Energieträgern: Zum einen erneuerbare Energien aus Wind, Sonne, Erdwärme oder Biomasse, zum anderen neue Energieträger aus z. B. Recyclingprozessen. Eine Lehre aus der Vergangenheit muss sein: Nicht die preiswerteste Wahl der Energie, sondern ein für alle Beteiligten und die Natur nachhaltig und langfristig ausgelegter Energiemix muss im Vordergrund stehen.
Es bedarf eines gemeinsamen Willens und der Wirtschaftlichkeit für Unternehmen, um neben gesetzten Transformationszielen weiterhin Wertschöpfung zu generieren. Unternehmen müssen bei den neuen Herausforderungen stärker unterstützt werden, damit sich neben Themen wie Energieversorung und Energieverbrauch auch die internen Prozesse anpassen und effizienter werden. Dafür benötigt es neben den politischen Rahmenbedingungen und Anreizen auch eine flexiblere und effizentere Verwaltung, um innovative Lösungen in die Umsetzung zu bringen. Dabei ist wahrscheinlich auch ein kommunales Unternehmen oder die Kommune selbst in der Pflicht, mit Pilotprojekten voranzugehen.
Erschienen im Mitteldeutschen Logistikanzeiger im September 2021
Artikel über die Agentur für Arbeite Halle (Saale)
Eine Agentur für Arbeit – und Qualifizierung
Ein Interview von Andreas Reichelt
Eine Agentur für Arbeit – und Qualifizierung
Die Wirtschaft befindet sich in tiefgreifendem Umbruch: Strukturwandel, Digitalisierung und zunehmend auch eine durch Corona bedingte De-Globalisierung verändern die Anforderungen der Unternehmen an ihre Beschäftigten – wie umgekehrt auch. Wie die Agentur für Arbeit Halle auf diese Herausforderungen reagiert, haben wir bei Katja Döge, Beraterin für Berufstätige im Erwerbsleben, und Kathrin Olsen, Teamleiterin Arbeitgeberservice an der Agentur für Arbeit Halle, nachgefragt.
Frau Döge, wie werden Berufstätige in der aktuellen Transformationssituation begleitet?
Katja Döge: Der Megatrend Transformation hat sich schon länger abgezeichnet. Die Pandemie als Katalysator hat uns als Team Berufsberatung im Erwerbsleben quasi neu geboren, seit September 2020 gibt es uns. Wir dürfen Beschäftigte in Unternehmen hinsichtlich ihrer Entwicklungsperspektiven beraten. Sei es Qualifikation, Weiterentwicklung und Einsatz in Führungspositionen aber auch Neuorientierung sogar über Branchen hinaus. Eine Win-Win-Situation für Mitarbeiter und Unternehmen: Mitarbeiter, die merken, sie haben eine Perspektive, ihnen werden Türen geöffnet und der Arbeitgeber geht auf sie ein, sind zufriedener und werden sehr viel wahrscheinlicher im Unternehmen verbleiben wollen. Und Arbeitgeber können durch Qualifizierung und Spezialisierung ihre Fachkräfte aufbauen – und dann auch halten.
Das funktioniert zum einen über die Beratung selber, zum anderen können wir auf das eine oder andere Fördertöpfchen verweisen. Ob diese vom Bund oder einem unserer Netzwerkpartner kommen, spielt für uns keine Rolle, uns geht es immer um das individuelle Vorhaben des Einzelnen.
Kommen die Mitarbeiter oder die Unternehmen auf Sie zu? Wie dürfen wir uns den Ablauf vorstellen?
Katja Döge: Sowohl als auch. Wir informieren gemeinsam mit den Kollegen vom Arbeitgeberservice die Unternehmen, die dann die Angebote streuen. Aber wir gehen auch in die Firmen, um zu beraten, was unser Service bedeutet, welche Formate wir anbieten und wie es ablaufen kann. Wir gestalten auch spezielle Informationsveranstaltungen im Unternehmen oder bieten Beratungstage vor Ort an. Zum Beispiel im Star Park einmal im Monat, wo die Unternehmen ihre Mitarbeiter entsenden, oder sich die Personaler mit uns in Verbindung setzen können.
Und natürlich kann jeder Beschäftigte unabhängig das Gespräch mit uns suchen. Auch dafür haben wir einen zentralen Treffpunkt in der Stadtbibliothek Halle eingerichtet.
Gibt es Themen, die aktuell spezielle Branchen betreffend am Drängendsten sind?
Katja Döge: Wir hatten pandemiebedingt aus einigen Wirtschaftsbereichen vermehrt Anfragen seitens der Beschäftigten, vor allem aus der Gastronomie. Die Fragen waren: Soll ich im Gewerbe verbleiben, mich qualifizieren oder mich komplett umorientieren, welche Entwicklung könnte ich generell nehmen?
Unser Bemühen geht dabei dahin, die Beschäftigten im Unternehmen zu halten und Möglichkeiten aufzuzeigen. Nach einem Gespräch mit uns begleiten wir auch einen Austausch in Dreierkonstellation. Denn – tatsächlich – meist haben die Mitarbeiter noch nicht mit ihrem Arbeitgeber über ihre Gedanken gesprochen.
Kathrin Olsen: Aus Unternehmenssicht fanden starke Fluktuationen aus vom Stillstand betroffenen Branchen statt: Dienstleistungen wie das Friseurhandwerk oder die Veranstaltungsbranche, wo nun enorme Bedarfe an Fachkräften bestehen.
Katja Döge: Hier arbeiten wir als Erwerbstätigenberater mit dem Arbeitgeberservice sehr eng zusammen. Wenn wir zum Beispiel beraten, Stellen übergangsweise mit Helfern zu besetzen, die wir dann schrittweise zur Fachkraft ausbilden lassen können.
Wie steht es mit der Digitalsierung?
Katja Döge: Wichtiges Thema ist auch der Wegfall von Arbeitsplätzen durch Digitalisierung, zum Beispiel im Medienbereich: die Drucker. Sie wissen, dass sich das Berufsbild stark verändern wird, wenn es diesen Beruf in fünf Jahren überhaupt noch gibt. Hier geben wir Orientierung.
Frau Olsen, wie sieht der Arbeitgeberservice in Sachen Digitalisierung aus?
Kathrin Olsen: Wir bieten die sogenannte Arbeitsmarkt- und Qualifizierungsberatung für Unternehmen an. Dort schauen wir uns die Altersstruktur im Unternehmen an und loten aus, welche Tätigkeitsbereiche da sind, die ggf. ersetzt werden können und beraten, welche Möglichkeiten der Qualifikation es gibt. Es gibt das Qualifizierungschancengesetz, das für die Arbeitgeber viele Möglichkeiten eröffnet. Je kleiner das Unternehmen, umso größer ist übrigens die Förderung. Im Verbund mit der Beschäftigtenberatung und Landesförderinitiativen finden wir für die Unternehmen die beste Lösung.
Leider werden jedoch viele der Möglichkeiten – und auch Förderungen – derzeit, auch aufgrund voller Auftragsbücher, nicht genutzt. Hier wäre vor allem für Klein- und Mittelständische Unternehmen langfristiges Planen angesagt, um sich Fachkräfte für die Zukunft zu sichern.
Katja Döge: Ein plastisches Ablaufbeispiel: Das Unternehmen des besagten Druckers. Der Arbeitgeberservice geht auf die Druckerei zu und sensibilisiert zum Thema Digitalisierung und Arbeitskräftestruktur. Hierfür nutzen wir ein schönes Werkzeug, den Job-Futuromat unseres Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung. Hier trägt man das aktuelle Berufsbild ein und erhält eine Voraussage, inwieweit sich die Tätigkeit entwickelt oder sogar der Digitalisierung zum Opfer fallen wird. So mancher Chef ist sehr erstaunt über manche Ergebnisse. Im nächsten Schritt erarbeiten der Arbeitgeberservice gemeinsam mit der Erwerbstätigenberatung und weiteren Netzwerkpartnern Strategien aus Aus-, Um- und Weiterbildung, um die Wettbewerbsfähigkeit und die Arbeitsplätze des Unternehmens zu sichern.
Noch ein Appell: Weiterbildung ist ein großes Thema, aber auch Ausbildung. Uns liegt sehr am Herzen, dass die Unternehmen ihren Nachwuchs auch selbst ausbilden. Auch hier gibt es Fördermöglichkeiten durch das Bundesprogramm Ausbildungsplätze sichern, zu dessen Konditionen sich die Unternehmen beim Arbeitgeberservice erkundigen können. Auch dieses Angebot könnte durchaus stärker genutzt werden.
Frau Döge, Frau Olsen, herzlichen Dank für diesen Einblick.
Erschienen in den Waldstraßenviertel NACHRICHTEN im November 2023
Artikel über ein ehemaliges Kinderheim
Weg ins Leben?
Von Andreas Reichelt
Weg ins Leben?
Ein Beitrag zur Geschichte des ehemaligen Kinderheimes im Leipziger Rosental
Über das als nationalsozialistische Jugendherberge 1939 im Rosental, Zöllnerweg 6, erbaute Gebäude und die spätere Nutzung als Kinderheim hat Katja Haß in ihrem Häuser-Geschichten-Artikel (WN 156) berichtet. Daraufhin erreichten die Redaktion zahlreiche, teilweise drastische Zuschriften und Kommentare ehemaliger Heimbewohner speziell über die Zeit der 1970er und 1980er Jahre. Ein Grund, genau diese Zeit des Heimes genauer zu beleuchten, sowohl Bewohner als auch Erzieher zu Wort kommen zu lassen.
Die Geschichte
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde in der ehemaligen Jugendherberge ein Kinderheim eingerichtet. Ende der 1950er Jahre erfolgte die Umwandlung zu einer „Sonderschule mit Internat für Kinder mit Hirn- und Nervenschäden der Klassen 5 bis 8“. Da jedoch pädagogische Fachkräfte und Psychologen fehlten, beschloss der Ministerrat der DDR die Einrichtung ab 1. Januar 1965 aus der Verantwortung des Rates der Stadt an den Rat des Bezirkes zu übergeben und in ein „Spezialheim mit Internatsschule für erziehungsschwierige Hilfsschüler der Klassen 3 bis 5“ mit dem Namen Weg ins Leben umzuwandeln.
Anders als die beiden anderen Kinderheime im Waldstraßenviertel, das Dritte Weltfestspiele in der Fregestraße 35 und das Kurt Löwenstein in der Jacobstraße 25 (dem Rat der Stadt unterstellt), wurden in diesem Spezialheim Kinder aus der gesamten DDR untergebracht. Auch aus dem Grund, um möglichst viel Abstand zum teilweise schwierigen Elternhaus zu schaffen.
Ein Heimbewohner
Ich spreche mit Andreas K., heute 52 Jahre alt. Er war von der dritten bis zur fünften Klasse, also um 1980 im Weg ins Leben, nachdem er die beiden Klassen zuvor in der Schule am Hang in Kirchberg verbrachte und anschließend ins berüchtigte Spezialkinderheim Meerane wechselte. Als Grund für die Einweisung nennt er „Schulschwänzen“. Auf Nachfrage ergänzt er: „Na ich war schon ein ziemlicher Rowdy“. Auf sein Elternhaus (als eventuelle Ursache) lässt er nichts kommen, was viel im Dunkeln lässt.
„Ihr habt mir meine Kindheit gestohlen … sie mir zur Hölle gemacht.“ Das ist sein Fazit mit Blick auf die Zeit. Er berichtet von nächtelangen Wachen auf dem Flur als Strafe für Gespräche nach Nachtruhe, im Sommer von ständigem Durst, weil die Gabe von Getränken als erzieherisches Mittel genutzt wurde, strengstem Verbot von großem Geschäft zwischen 20 und 23 Uhr (was, da manchmal nicht zu verhindern, eben anderswo erfolgte). Einmal, als ein Mitbewohner aus Versehen gegen eine schwangere Erzieherin stieß, sei dieser von drei Lehrern hinter verschlossener Tür verprügelt worden und musste demzufolge drei Tage in ein Krankenhaus. Eine Erzieherin, Frau K., von der auch andere Betroffene berichten, war dafür bekannt, ein schweres Schlüsselbund nach Kindern zu werfen, wenn sie zu laut (oder überhaupt) schwatzten – egal wen sie dabei traf. Auch von einem sog. U-Boot berichtet er, einer Art Gefängniszelle neben den Duschräumen im Keller. „Die einzigen, denen man mal sein Herz ausschütten konnte, waren die Damen in der Küche.“
Und die einzigen Lichtblicke, auch das wird oft erwähnt, waren die sechswöchigen Sommeraufenthalte auf Rügen und die Winterferien im Erzgebirge.
Ein Erzieher
Ich treffe Gerd. E., heute 79 Jahre alt und in der Zeit von 1968 bis 1978 Sportlehrer und Pädagoge im Weg ins Leben. Er wirkt aufgeräumt und hat durchweg Positives aus seiner Zeit dort zu berichten. Als Vollwaise selber im Heim (Jacobstraße 25) aufgewachsen war es für den damals 24jährigen eine schöne Aufgabe, die Kinder hier zu unterrichten. Vom sehr hohen Personalschlüssel spricht er (beinahe 1:1) und einer guten Versorgung. Die sehr kleinen Klassen mit vier bis sechs Schülern erlaubten es, individueller zu unterrichten. War doch der Anspruch, Lernschwächeren den normalen Lehrplan zu vermitteln.
Auf die Schilderungen ehemaliger Heimkinder angesprochen räumt er jedoch ein: „Es war schon militärischer Drill zuweilen. Viele, vor allem ältere Erzieher, glaubten sich nur laut schreiend durchsetzen zu können. Aber was wird aus einem Kind, das nur angeschrien wird?“
Die medizinische Versorgung hingegen war vorbildlich: „Eine eigens im Haus angestellte Krankenschwester kümmerte sich um alle gesundheitlichen Belange – und die Medikamente.“
Ja, die Medikamente. Ich wusste von Andreas K. z. B. von sechs Tabletten morgens, sechs mittags und einer am Abend. Und woran erinnert sich Gerd E.? „Aus heutiger Sicht ist das schwierig einzuschätzen. Von Faustan weiß ich sicher. Einige wurden wohl damit auch einfach nur ruhig gestellt. Ich glaube man wusste es damals nicht besser.“
Weg ins Leben?
Mag es ehrlicher Anspruch gewesen sein, für einige hat sich dieser Weg in ein erfülltes Leben geebnet, für einige nicht. Andreas K. sagt: „Ich erwarte nichts mehr. Ich bin jetzt 52, habe vielleicht noch 20 Jahre und dann war’s das.“ Die 10.000 Euro Entschädigung des Fonds Heimerziehung seien „ein Witz als Gegenleistung für ein kaputtes Leben“ – und auch noch zweckgebunden, was als erneute Bevormundung wahrgenommen wird.
Ein vielschichtiges Thema allemal. Aktuell ist die Ausstellung Blackbox Heimerziehung noch bis zum 14. November auf dem Nikolaikirchhof zu sehen. Sie lädt ein sich über das System Heimerziehung in der DDR zu informieren. Und bestimmt beschäftigen auch wir uns nicht das letzte Mal damit.
Erschienen in den Waldstraßenviertel NACHRICHTEN im Januar 2019
Artikel über die lokale Geschichte des Töpferhandwerks
Von einem unehrlichen Berufe
Von Andreas Reichelt
Von einem unehrlichen Berufe
Eine der ältesten Zünfte soll in unserer handwerksgeschichtlichen Reihe hier genauer vorgestellt werden: Das Töpferhandwerk.
Unehrlich?
In der Frühneuzeitlichen Gesellschaft gehörte die Töpferei zu den „unehrlichen“ Berufen. Unehrlich bedeutete, anders als heute, nicht „betrügerisch“, sondern „ehrlos“. Ein Rechtsstatus, der erst im 18. Jahrhundert aufgehoben wurde. Aber der Reihe nach.
Bandkeramiker vor allem waren es, die vor etwa 7.500 Jahren aus Südosteuropa kammen und den Leipziger Raum besiedelten. Was natürlich nicht heißt, alle seien Töpfer gewesen, aber die kulturelle Bedeutung der Keramik verdeutlicht.
Vom Haus- zum Handwerk
In frühgeschichtlicher Zeit erfolgte die Herstellung von Tongefäßen – ebenso wie zum Beispiel Flachsspinnen oder Weben – im Haushalt, als so genanntes Hauswerk. Das Handwerk entstand vermutlich, als einzelne Familien durch besonderes Geschick und Kenntnis technischer Kunstgriffe dazu übergehen konnten, benachbarte Haushalte auf Bestellung zu beliefern und später auch ihre Ware auf Märkten zum Kauf anzubieten.
Die Töpfer sind in Leipzig seit dem Jahr 1453 als Handwerk und gleichzeitig als Innung schriftlich nachgewiesen. Ihr Einkaufszentrum, der Thonberg („by den tangruben“), ist 1395 erstmals urkundlich erwähnt, dürfte aber bereits zur Zeit der eingangs erwähnten Bandkeramiker genutzt worden und der eigentliche Grund für die Entwicklung des Töpferhandwerkes in Leipzig sein. Wegen der Nähe zum T(h)onberg und aus Sicherheitsgründen (Feuergefahr, vorherrschender Westwind) siedelten sich ab dem 15. Jahrhundert die meisten Töpfer außerhalb der Stadtmauern im Bereich Grimmaischer Steinweg und Peterssteinweg an. Aber auch, wohl wegen seines Wasserreichtums und der Nähe zur Alten Burg, im Gebiet Naundörfchen und Ranstädter Steinweg. Hier wohnten und arbeiteten fast ausschließlich Handwerker – heute würde man das wohl Synergieeffekt nennen. Man war flexibel – die Werkstätten bestanden nur aus der eigentlichen Werkbank. Der Ton kam vom Berg und gebrannt wurde in Gemeinschaftsöfen – ähnlich wie die private Stollenbäckerei. Leider ist kein einziger dieser Öfen überliefert oder sind Teile davon gefunden worden.
Aber Früchte der Arbeit sind zahlreich dokumentiert: So wurde im Naundörfchen eine seltene kugelige Kanne mit drei Knäufchen am Boden gefunden (heute im Bestand des Stadtgeschichtlichen Museums). Auf dem Gelände einer ehemaligen Töpferei am Ranstädter Seitenweg fanden sich Ofenkacheln für den gotischen Vorgängerbau des Alten Rathauses.
Mit der Industrialisierung verschwand das Töpferhandwerk nach und nach. Zählte man 1895 noch 3 Töpfer im Viertel, war es 1943 nur noch einer. Seit letztem Jahr jedoch gibt es im Naundörfchen 2 die Keramik-Malwerkstatt Lieblingswerk, wo dort hergestellte Rohlinge bemalt und glasiert werden können.
Erschienen in HERBSTFEUER, Ausgabe2 2011
Über den Film „Seniors rocking“ von Ruedi Gerber. Eine Rezension.
Tanz der Welt Dein Leben
Tanz der Welt Dein Leben
Mit dem Projekt „Seniors Rocking“ beweist die 91-jährige Anna Halprin wie befreiend es sein kann, Gefühle mit dem Körper auszudrücken. In einem kalifornischen Seniorenzentrum fordert sie zum Ausdruckstanz auf.
Über einen beeindruckenden Film von Ruedi Gerber.
Anna Halprin zählt zu den bedeutendsten Künstlerinnen des modernen Tanzes. Ganze Generationen von Tänzern und Choreografen hat sie seit den frühen fünfziger Jahren beeinflusst, den Ausdruckstanz revolutioniert. Mit ihren avantgardistischen Auftritten auch so manchen Skandal ausgelöst.
Mit 50 Jahren dann der Bruch. Sie erkrankt an Darmkrebs und verabschiedet sich aus der Öffentlichkeit. Zuhause, auf ihrer „Bühne“ – einer besonderen Terrasse vor ihrem Haus in San Francisco – tanzt sie jedoch weiter. „Ich habe mir den Weg zur Heilung freigetanzt.“ sagt sie heute. Aus dieser Erfahrung hat sie eine eigene Methode entwickelt: Tanz als Heilungsritual – wie sie es nennt. Und die gibt sie in Workshops weiter. Der Dokumentarfilm „Seniors Rocking“ des Schweizers Ruedi Gerber gibt Einblick in ihre ungewöhnliche Arbeit.
Es beginnt sehr langsam. Nach und nach füllt sich der Raum in der Redwoods Community of Seniors in Marin County, Kalifornien. Einander zum Teil stützend und dem ersten Eindruck nach alles andere als „rüstig“ dauert es, bis alle Teilnehmer des Workshops an ihren Plätzen sind: den „Rocking Chairs“, den Schaukelstühlen. Anna Halprin scherzt: „Hört zu, wir müssen unsere Zeit sehr gut ausnutzen.“ Gelächter im Hintergrund, einer bestätigt: „Yes!“.
Dann geht es los und sie kommt auch gleich auf den Punkt: „Der Tanz, der hier entsteht, gründet auf meinen Erfahrungen durch die Arbeit mit Euch. In allen Bewegungen sind also Eure Stimmen enthalten. Die Ideen stammen nicht von mir. Es sind Eure Botschaften. Ich setze sie bloß zusammen.“ Anna Halprin hat sich mit jedem Teilnehmer persönlich beschäftigt. Hat „Vermächtnisse“ gesammelt, was im Leben des Einzelnen wichtig war, was er geleistet und nicht geleistet hat, was er getan hat und was er noch tun kann. Das alles fließt nun in die Übungen ein. Die Vorbereitung auf eine ganz besondere Performance. Und je mehr Bewegung in die Körper kommt, desto heiterer wird die Stimmung bei den Tänzern. Sie gehen förmlich aus sich heraus, blühen geradezu auf. Jeder nach seinen Möglichkeiten. Die Freude dabei steht allen ins Gesicht, auf den Körper geschrieben.
In Zwischenkapiteln kommen einzelne Tänzer zu Wort. Sie berichten über ihr Leben und was die Übungen für sie ganz persönlich bedeuten. Und Anna Halprin erläutert ihre Mission: „Ich hoffe mit meiner Arbeit den Tanz neu definieren zu können (…) möchte all die Grenzen aufheben, die den Tanz vom normalen Menschen trennen.“
Höhepunkt des Workshops ist eine gemeinsame Performance in freier Natur. Eine Wiese mit Blick auf einen See. Die Gruppe sitzt auf Schaukelstühlen. Halprin: „Macht es Euch bequem. Hört Ihr die Geräusche? Seht Ihr die Vögel? Streckt die Arme in die Höhe und nehmt all das auf.“ Und schließlich: „Stellt Euch vor, Ihr bewegt Euch wie diese Vögel, flattert mit den Händen, bewegt die Arme.“
Dann der beeindruckende Moment, als ein Schwarm Wildgänse geflogen kommt und sich auf dem See vor der Gruppe niederlässt, als seien sie gerufen worden.
Jetzt kommen Trommeln und Flöten ins Spiel, es wird gemeinsam gesungen. Am Ende hält es die meisten nicht mehr auf den Schaukelstühlen. Man tanzt frei eine eigene Choreografie, andere stützen sich gegenseitig und eine kleine Gruppe macht einfach im Sitzen mit. Aber alle tanzen! Am Schluss nimmt sich die Gruppe bei den Händen und schwingt gemeinsam mit Blick auf den See. Als wollte man sich für dieses Erlebnis bei Mutter Natur bedanken.
Wer schon einmal die gängigen Bewegungstherapien in Senioreneinrichtungen beobachtet hat weiß, was Halprins Methode auszeichnet: sie macht einfach Spaß! Und mehr als das. „Wichtig ist, dass man sich jeder Bewegung bewusst ist. In dem Augenblick, wo zwischen Bewegung und Gefühl eine Verbindung hergestellt wird, entsteht Kunst.“ Ein im wahrsten Sinne des Wortes bewegender Film.
Erschienen in HERBSTFEUER, Ausgabe 6 2012
Artikel über die Trauerarbeit der Freimaurer
„Wir heißen Euch hoffen“
Von Andreas Reichelt
„Wir heißen Euch hoffen“
(Johann Wolfgang von Goethe)
Herr Dr. Hempel, viele Menschen misstrauen den Freimaurern, sehen sie als konspirativen Geheimbund. Können Sie unsere Leser aufklären? Ich will es versuchen. Die Freimaurer verstehen sich als ethischer Bund und wirken weder konspirativ noch geheim. Es geht ihnen einzig um nichts anderes als um die Selbstverbesserung, Selbstvervollkommnung eines jeden Einzelnen. Dabei gibt es kein Dogma, alles ist sehr individuell. Grundsätzlich unterscheidet man drei Grade mit drei Aufgaben: Lehrling (Schau in Dich), Geselle (Schau um Dich) und Meister (Schau über Dich).
Welchen Stellenwert hat Trauerarbeit bei den Freimaurern? Die Arbeit der Freimaurer bezeichnen diese selbst als „Königliche Kunst“. Diese Kunst bezieht sich auf das Leben und Leben ist immer mit Geburt und Tod verbunden. Man wird geboren um zu sterben. Noch mehr: Das Leben geht vom Tode aus. Denn ohne Tod gibt es kein Leben. Goethe spricht vom „Stirb und Werde“. Die Freimaurer betrachten ihr Wandeln im Leben und in der Loge als Reise. Ein Leitspruch ist „Werde Wesentlich“, also Nutze die Zeit. Der Umgang mit dem Tod zeigt sich in zahlreichen Werken. Das Völkerschlachtdenkmal in Leipzig zum Beispiel kann allgemeingültig als künstlerisch-architektonische Projektionsfläche freimaurerischer Auseinandersetzung mit Tod und Trauer aufgefaßt werden. Der Grundriß des „Sees der Tränen“, ein Trapez, symbolisiert in diesem Sinne eine Sargform. Trauerarbeit in Stein.
Wie wird die Trauerarbeit praktiziert? Die Symbolik der Freimaurer reicht sehr weit in die Geschichte zurück. Auch das wichtige Trauer-Ritual: Die Ermordung des Hiram von Tyrus, des Baumeisters von Salomons Tempel. In einer Zeremonie wird diese Legende nachempfunden. Dabei steht jedoch nicht das Erlebnis des Todes, sondern das darauf folgende Licht im Vordergrund. Der Übergang in den „Ewigen Osten“, in den Morgen, der keinen Abend kennt, wie es poetisch heißt. Im Verständnis der Freimaurer gibt es allerdings kein absolutes „Nach dem Tod“, alles bleibt offen. Darauf beruht u.a. auch die Ablehnung des Freimaurertums durch verschiedenste Gesellschaften und Geistesströmungen. Denn eine solche Denkungsart läuft dogmatischen Lebens- und Todesauffassungen zuwider. Adogmatisches Denken und Tun sind aber die Grundvoraussetzungen für die „Königliche Kunst“.
Was möchte man mit dieser Trauerarbeit erreichen? Beabsichtigt ist, den „Bruder im freien Geist“ vom Gespenst und Schrecken des Todes, die im profanen Leben präsent sind, zu befreien. Das Individuum zu erheben. So bemerkt Herder – von Bruder zu Bruder – zu Lessings „Wie die Alten den Tod gebildet?“: „Kein Schreckgespenst also ist unser letzter Freund; sondern ein Endiger des Lebens, der schöne Jüngling, der die Fackel auslöscht und dem wogenden Meer Ruhe gebietet.“
Herr Dr. Hempel, vielen Dank, dass Sie uns schon so viel zur Einstimmung auf das Thema dargelegt haben. Der 21. Februar (2012 bei Aaron Aaron Engel Bestattungen & Trauervorsorge, Anm. d. Red.) wird garantiert genau so spannend.